Meinungsfreiheit auf Twitch

by msk


Bild: xkcd, Text: Anatol Stefanowitsch, CC-BY-NC 2.5

Kanäle auf Twitch leben auch von der Interaktion von und mit den Zuschauern, aber zu welchem Preis?

Man nehme an, uns gefällt ein Spiel besonders gut oder wir möchten neue Impressionen eines Spiels sammeln und schalten einen beliebigen Twitch-Kanal ein, um uns unterhalten zu lassen und gegebenenfalls Erfahrungen zu sammeln. Am Besten wird dann auch noch angepriesen, dass der Streamer kommunikativ ist, auf Interaktion mit dem Chat großen Wert legt und somit seine Community aktiv am Kanal teilhaben lassen möchte. ‚Großartig!‘ sagen wir uns und hauen fleißig in die Tasten. Allerdings mögen wir keinen 0815-Talk, in dem wir unsere schmeichelhafte Bewunderung für den Streamer zur Geltung kommen lassen. Vielmehr reißen wir kontroverse alltagsaktuelle Themen oder gar persönliche Kritik gegen den Streamer oder einen Kollegen an. Und dann passiert es – das ominöse „message deleted“ erscheint. Der gedanklich nicht rechtsaffine und somit normale User denkt sich dann womöglich: ‚Egal, versuche ich es erneut‘. Und wieder: „message deleted“. Der vom Streamer befähigte Bot oder Moderator scheint uns zu hassen und spielt regelrecht mit seiner Machtstellung. Im schlimmsten Fall kassieren wir sogar einen Ban und werden vom Chat/Kanal gänzlich ausgeschlossen. Wir verlassen vor entgegengebrachter Ignoranz erzürnt den Kanal und fragen uns: Darf er das einfach so? Im Fußballstadion wirft uns schließlich auch niemand raus, nur weil wir der Auswärtsmannschaft zujubeln und unsere Antipathie mehr oder minder zivilisiert gegen die Heimmannschaft äußern. Eine mehr oder minder vernünftige Streit- und Kritikkultur gehört doch dazu.

Beschränken Bans eines unserer Grundrechte?

Liegt hier also tatsächlich durch das „Mundtotmachen“ eine Beschränkung der Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG vor? 'Schließlich bewegen wir uns doch in einem (virtuell) öffentlichen Rechtsraum, wo man sagen darf, was man möchte.'
‚Na klar!‘, könnte man meinen. Ganz so einfach ist es aber dann doch nicht. Grundsätzlich sei vorab klargestellt, dass das deutsche Grundgesetz in einem solchen Fall überhaupt nicht zur Anwendung käme. Denn es handelt sich bei der Streamingplattform Twitch um eine private und eben nicht staatliche Institution. Als privatwirtschaftlich handelndes Unternehmen (die Twitch Interactive Inc. ist ein Unternehmen der Amazon.com Inc.) kommen höchstens privatrechtliche Vorschriften zur Geltung. Ob in einem solchen Fall überhaupt deutsches Recht anwendbar ist, da Twitch dem amerikanischen Recht unterliegt, soll hierbei zunächst unbeachtet bleiben.

Darüber hinaus ist das mit der Meinungsfreiheit, wie sie der Volksmund oftmals auffasst, immer so eine diffizile Sache. Speziell in der Online-Welt wird dieses große und starke Wort oft falsch verstanden. Auch wenn jeder ein Recht auf seine Meinung hat und deshalb nicht verfolgt werden darf, schließt sich daraus nicht, dass man auch das Recht hat, diese Meinung überall kund zu tun. Denn die Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG ist nicht gleichbedeutend mit einem Darfschein für Jedermann, alles zu sagen wo und wann er möchte. Andersrum ist zudem niemand verpflichtet, sich eine andere Meinung anzuhören. Auch das ist Teil unserer Meinungsfreiheit.

Welche Vorschriften gelten dann nun auf Twitch?

Und bei Twitch ist das auch nicht anders. Mit der Anmeldung/Registrierung auf Twitch, die für das Teilnehmen am Chat obligatorisch ist, unterwerfen wir uns aber den allseits so beliebten AGB von Twitch – quasi den Regeln auf ihren virtuellen Spielwiesen. Und dort hieß  es u.a. in einer früheren Fassung der Community Guidelines (heute ist es noch allgemeiner gefasst):
„Kanalbasierte Sperrungen/Bans: Kanalinhaber und die von ihnen ernannten Chatmoderatoren haben das Recht, Nutzer von ihrem Kanal zu jeder Zeit und für jeden erdenklichen Grund zu bannen. Falls du von einem Kanal gebannt wurdest, dann musst du den Kanalinhaber oder die von ihm ernannten Moderatoren kontaktieren und sie bitten, diesen Ban aufzuheben.“
Somit kann jeder Streamer nahezu willkürlich darüber entscheiden, wen er bannt. Er bräuchte dafür nicht einmal einen guten Grund. Analog dazu ergibt sich dieses auch schon aus einer Art abgeleiteten Hausrecht, welches dem Streamer durch Twitch eingeräumt wird. Schließlich bewegen wir uns stets in und auf den Gefilden Twitch’s. Und solange wir uns auf den Servern von Twitch tummeln, können wir uns gegen solche Beschränkungen rechtlich auch nicht zu Wehr setzen.

Was können wir also unternehmen?

 

Es bleibt in diesen Fällen nur der berühmte Sprung über den eigenen Schatten und nach einem Unban zu bitten oder die Zeit der Sperre auszusitzen. Alternativ ist es natürlich auch immer möglich und sogar ratsam, diesen Kanal zu meiden und seine negativen Erfahrungen auch sachlich in der Öffentlichkeit kundzutun. So schließt sich dann der Kreis mit der Meinungsfreiheit – zulasten des Streamers.

 

Abschließend sei zu sagen, dass auf Twitch speziell auf größeren Kanälen, bei denen Leute im fünf- oder sechsstelligen Bereich zuschauen und welche somit eine größere Strahlkraft haben, üblicherweise sehr nachsichtig verfahren wird, solange die Vorfälle nicht alle Rahmen sprengen. Das dürfte auch der generell eher lockeren Natur von Spiele-Chats entsprechen, sodass diese eben auch sehr frei moderiert werden, um eben jedem die Chance zu geben, seine Meinung zu äußern und mehr oder minder hautnah dabei zu sein – eben vorausgesetzt, es liegen keine klaren Regelverstöße vor.


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Kommentare: 3
  • #1

    Absche (Sonntag, 18 Juni 2017 21:52)

    Schließlich bewegen wir uns doch in einem (virtuell) öffentlich Rechtsraum, wo man sagen darf, was man möchte. Zitat Ende ...
    Das mit dem öffentlichen Raum finde ich interessant. Denn dann müssten dort ja auch noch andere Regeln gelten als nur die AGBs, wenn's öffentlich ist und nicht nur ein geschlossener privater Zirkel.

  • #2

    msk (Freitag, 23 Juni 2017 16:03)

    Danke Absche für den Hinweis. Der Vollständigkeit halber habe ich die These mal in Anführungsstriche gesetzt. Schließlich soll das nicht meine Aussage widerspiegeln, sondern eben jene eines normalen Nichtjuristen.
    Schlussendlich sind die Räumlichkeiten auf Twitch und co. nichts anderes als ein Café oder ein Supermarkt. Überall gelten die Regeln, die man mit Betreten der Lokalität (konkludent oder ausdrücklich) akzeptiert.

  • #3

    Runa (Samstag, 12 Juni 2021 20:08)

    Hallo,

    dein Beitrag wurde gerade ausgekramt als "Beleg" dafür, dass alle Gerichte, Richter, Anwälte und sonstige Juristen einfach keine Ahnung haben:

    Es wurde gesagt, dass du behauptest, es gäbe tatsächlich ein virtuelles Hausrecht - und nicht nur gegenüberstehende Rechte und Pflichten unterschiedlicher Nutzer, zu denen auch Eigentumsrechte gehören können. Darüber hinaus wurde behauptet, dass du sagst, dass Channelmoderatoren hausrechtliche Maßnahmen ergreifen könnten.

    Tatsächlich lese ich aber beides *nicht* aus diesem Text heraus, daher wäre eine Klarstellung eventuell interessant. Gerade, weil ein willkürlicher Bann basierend auf einem Hausrecht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstößt.

    Ich sage es hier noch mal, wie ich es auch dort bereits sagte:

    1. Es gibt kein virtuelles Hausrecht. Es gibt nur ein Sammelsurium von Rechten und Pflichten beider Parteien die gegeneinander abgewägt werden müssen. Und dieses Sammelsurium ist von Fall zu Fall unterschiedlich.

    2. Ein Bann in einem Twitch-Kanal hat *nichts* mit "virtuellem Hausrecht" zu tun. Es ist lediglich die Verwehrung der Chatnutzung in einem bestimmten Kanal. Eine Chatnutzung, auf die man rechtlich keinerlei Anspruch hat. Jeglicher Grund, den die Moderatoren haben dich vom Chat auszuschließen ist somit juristisch vollkommen genügend.

    3. Die Verweigerung der Chatnutzung ist nicht einmal eine hausrechtliche Maßnahme. Das beginnt schon bei dem Denkfehler, dass ein Kanal ein eigenes "Haus" wäre. Damit es aber für ein Hausrecht qualifiziert sein könne, müsste es erst einmal juristisch gesehen eine Sache sein - was es nicht ist. Der Streamer ist weder Besitzer noch Eigentümer an irgendetwas. Und er kann niemanden wirklich aussperren. Alles was er kann ist die Chatteilnahme - auf die niemand einen Anspruch hat - zu reglementieren.

    Diese Aussagen wurden bereits in unzähligen Gerichtsverhandlungen bestätigt, die sich tatsächlich um die Ausübung von Hausrecht handelten - bei dem also eine Partei Eigentümer oder Besitzer einer Sache war. Bei Twitch bist du rechtlich nicht einmal Eigentümer des Benutzerkontos. Das wird in 4a) der TOS klargestellt - wie willst du also Eigentümer des Kanals sein, der zu dem Benutzerkonto gehört?


    Liebe Grüße

    Runa